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Neugierig drücken die Lurche ihre hellrötlich schimmernden Händchen gegen die Glasscheibe. Seitlich von ihrem Kopf wogen ihre roten Kiemen im Wasser. Sie sind neugierig, wer sie da besucht. „Für die Tiere ist so ein Besuch wie Kino“, sagt Dr. Sarah Strauß und blickt auf ihre Schützlinge in den Aquarien um sie herum. Erwartungsvoll schwimmen sie auf und ab. Denn wenn Gäste vorbeikommen, verheißt das Futter. Und Axolotl sind immer hungrig.

Axolotl haben besondere Fähigkeiten

Dass Fremde den Raum betreten, ist für die Tiere etwas Besonderes. Normalerweise erhalten sie nur Besuch von den Forscherinnen, die hier an der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover mit ihnen arbeiten. Die Axolotl haben Fähigkeiten, von denen die moderne Medizin zu lernen hofft: Wunden verschwinden bei ihnen nahezu narbenfrei. Selbst abgetrennte Beine, verletztes Rückenmark, sogar Teile von Herz und Hirn wachsen wieder nach.

Kein Axolotl muss hier für die Forschung sterben.

Wie bei dem braunen Lurch hinter dem Glas, der mit seinem breiten Maul schelmisch zu grinsen scheint. Ein Artgenosse hat ihm ein Vorderbein abgebissen. Doch das neue ist schon da, noch zart und klein, aber mit allen vier Fingern. „Zuerst entsteht eine Art Gewebeknospe“, beschreibt Strauß. Daraus sprießt das neue Beinchen und wächst, je nach Alter der Tiere, innerhalb von Wochen oder Monaten zu voller Größe heran.

Axolotl werden eigens für die Forschung gezüchtet

Wie macht der Axolotl das? Die Forscherinnen vom Ambystoma Mexicanum Bioregeneration Center, so der Name des Instituts in Hannover, sind dabei, dies Schritt für Schritt zu entschlüsseln – gemeinsam mit anderen Forschungsgruppen weltweit. „Ambystoma mexicanum“ ist der wissenschaftliche Name des Axolotls, dessen ursprüngliche Heimat der Xochimilco-See in Mexiko ist.

Die Tiere in Hannover sind indes Laborzüchtungen. Statt Namen haben sie Nummern. So ist es Vorschrift. Dass sie sich dennoch wohlfühlen, ist Strauß ein Herzensanliegen: „Kein Axolotl muss hier für die Forschung sterben.“ Wenn sie eine Hand ins Becken steckt, krabbeln die Tiere von selbst darauf.

Kommen die Axolotl in die Jahre, ziehen sie zu privaten Tierfreunden um. Auch im Labor gibt es aber „Rentnerbecken“. In einem leben Jakob und Adele. Im Ruhestand haben sie doch noch Namen bekommen. Sie sind mehr als 20 Jahre alt, aber quicklebendig. „Wer hat schon das Glück, mit seinen Lieblingstieren zu arbeiten?“, sagt Strauß und lacht. Sie selbst bekam ihre ersten Axolotl, als sie 15 Jahre alt war. Ob Schnecken, Kellerasseln oder Spinnen: „Schon als Kind habe ich alles geliebt, was kreucht und fleucht“, erzählt sie. Für ihre heutige Arbeit eine wichtige Voraussetzung. Ein paar Türen weiter im „Spider Silk Laboratory“ haben die Versuchstiere acht Beine. Die Seide der Spinnen, die hier Netze weben, kann die Heilung zerstörter Nerven verbessern.

Regeneration der Axolotl soll auch Menschen helfen

Zur Biologie kam die Forscherin aber nicht nur durch ihre Liebe zu Tieren. „Als ich sechs war, starb mein Großvater an Darmkrebs“, erzählt sie. Doch wieso bekommen Menschen Krebs? Warum müssen sie überhaupt sterben? „Das konnte mir damals niemand sagen.“ Erst im Studium erhielt sie Antworten.

Man muss sich den Prozess bei der Regeneration vorstellen wie ein großes Orchester, das ohne Dirigent spielt.

Dort kamen aber neue Fragen auf: „Ich habe verstanden, dass es nicht den einen Schlüssel gibt, um Krebs zu verstehen.“ Genauso wenig wie Alter und Tod. Auch bei ihrer Arbeit mit dem Axolotl weiß die Biologin, dass die Entdeckung eines einzigen Eiweißes oder Gens das Rätsel nicht lösen wird.

„Man muss sich den Prozess bei der Regeneration vorstellen wie ein großes Orchester, das ohne Dirigent spielt“, erklärt Strauß. Jede Flöte, jeder Bass ist wichtig, die Partitur hochkomplex. Ein wichtiges Instrument konnten die Forscherinnen aber bereits ausfindig machen: ein Enzym, dem sie den Namen AmbLOXe gaben. „Wir hoffen, es kann vielleicht dabei helfen, dass auch menschliche Wunden besser heilen“, sagt Klinikdirektor Prof. Dr. Peter Vogt. Bei der Spinnenseide ist der Einsatz am Menschen bereits geglückt.

Eiweiße des Axolotl als Alternative zu Antibiotika

AmbLOXe soll bald weiter in Zellkulturen getestet werden. Derzeit konzentriert sich Strauß allerdings auf ein weiteres Geheimnis, das die Lurche auf ihrer Haut tragen. Etwas Schleim von ihrem Rücken genügt, um es zu untersuchen. Analysen konnten dort unbekannte Eiweißstoffe nachweisen, die den Axolotl vor Krankheitserregern schützen. Fachleute sprechen von antimikrobiellen Peptiden. Sie sind Teil des angeborenen Immunsystems und spielen bei der Wundheilung eine wichtige Rolle. Zudem könnten sie eine Alternative zu Antibiotika sein. „Das ist brandneu“, so Strauß.

Dr. Sarah Strauß ist Leiterin des Kerstin Reimers Labors für Regenerationsbiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort forscht sie an Axolotln.

Dr. Sarah Strauß ist Leiterin des Kerstin Reimers Labors für Regenerationsbiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort forscht sie an Axolotln.

Immerhin, auch den Axolotln nützt die Forschung. „Wir haben hier mit den Jahren viel Wissen gesammelt“, sagt Strauß. Zum Beispiel über typische Erkrankungen. Das gibt die Expertin gerne weiter, zum Beispiel in tierärztlichen Fortbildungen. „Nachhaltige Forschung bedeutet für mich nicht nur, dass sie umweltfreundlich ist“, sagt sie. Die Abteilung beteiligt sich deshalb auch an Nachzuchtprojekten. Denn in der Natur hat der Mensch den Wunderlurch und seine Verwandten, deren Fähigkeiten er nützen will, leider bereits fast ausgerottet.

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Quellen:

  • Menger B, Vogt PM, Allmeling C et al.: AmbLOXe - an epidermal lipoxygenase of the Mexican axolotl in the context of amphibian regeneration and its impact on human wound closure in vitro . Ann Surg. : https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 19.02.2024)
  • Medizinsiche Hochschule Hannover: Ambystoma Mexicanum Bioregeneration Center. Online: https://www.mhh.de/... (Abgerufen am 19.02.2024)